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Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien /

Eigenverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit – Risikoverhalten und Selbstschädigung

Eigenverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit

Risikoverhalten und Selbstschädigung

Kinder und Jugendliche können in ihrer Entwicklung auch durch Medienangebote beeinträchtigt oder gefährdet werden, die zu riskantem und selbstschädigendem Verhalten anregen.

Das Ausprobieren von Möglichem und Verbotenem, das Austesten persönlicher Grenzen und die Suche nach Grenzerfahrungen spielen bei Kindern und insbesondere Jugendlichen eine wichtige Rolle im
Entwicklungsprozess. Zugleich dienen Vorbilder und der Austausch mit Gleichaltrigen der Entwicklung von Persönlichkeit und Identität. Soweit eine Orientierung an abträglichen Rollenbildern und Verhaltensweisen erfolgt und sich Risikoverhalten gegen die eigene Person richtet, können die physische und psychische Gesundheit und im Extremfall das eigene Leben auf dem Spiel stehen.

Welche Angebote können zum risikobehaftetem Verhalten und Selbstschädigungen von Kindern und Jugendlichen beitragen?

Es können Angebote sein, die

  • körperliche Ideale in einer Weise in den Mittelpunkt rücken, die ästhetisch motivierte Eingriffe am eigenen Körper (z. B. Schönheitsoperationen, Anabolika für einen künstlichen Muskelaufbau) als selbstverständlichen oder normalen Bestandteil eines spezifischen Lebensstils inszenieren,
  • riskante und waghalsige Aktionen wie Mutproben oder Kunststücke enthalten, bei denen Verletzungen des eigenen Körpers verursacht werden können oder sogar beabsichtigt sind,
  • den Konsum legaler oder illegaler Drogen verharmlosen, verherrlichen oder anpreisen, zum missbräuchlichen Konsum anregen oder unkontrollierten bzw. exzessiven Drogenkonsum positiv darstellen,
  • psychisch motivierte Schädigung am eigenen Körper thematisieren oder gar propagieren, z. B. Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten bis hin zum Suizid.

Bezüglich einer möglichen Wirkung dieser Angebote sind in die Bewertung nicht nur durchschnittlich entwickelte, stabile Kinder und Jugendliche einzubeziehen, sondern insbesondere unsichere, labile und belastete.

Grundsätzlich ist für jedes Angebot, das sich mit Risikoverhalten und Selbstschädigung beschäftigt, eine Einzelfallbetrachtung notwendig. Kontext, Intention, Intensität und Ausprägung des Angebots sind stets zu beachten. Dabei wird zwischen einer Entwicklungsbeeinträchtigung und -gefährdung bzw. offensichtlich schweren Jugendgefährdung unterschieden, wobei die Übergänge fließend sind.

Um eine offensichtlich schwere Jugendgefährdung feststellen zu können, muss eine besonders starke Intensität der Inhalte hinzutreten. Auch Kombinationen der oben genannten Faktoren können ein Indikator dafür sein. Gleichzeitig muss die schwere Jugendgefährdung ohne besondere Schwierigkeiten auf den ersten Blick erkennbar sein.

Wie werden Risikoverhalten oder Selbstschädigung dargestellt?

Darstellungen wie Beschreibungen oder Erlebnisberichte von Risikoverhalten können sowohl (bewegt-)bildlich als auch textlich vorkommen und Rezipient:innen desorientieren, desensibilisieren oder gar zur Nachahmung ermutigen. Insbesondere relevant für die Bewertung des Angebots sind Darstellungen, die

  • die Risiken der Folgen verharmlosen, verherrlichen, als einseitig positiv oder wichtiger als die Gesundheit präsentieren,
  • zynische oder sarkastische Bemerkungen über Risikoverhalten und Selbstschädigungen enthalten,
  • dieses Verhalten als erstrebenswertes Verhaltensideal, alternativlose bzw. selbstverständliche Lösung von persönlichen Problemen oder als Mittel zur Steigerung des Selbstwertgefühls präsentieren,
  • selbstgefährdende Handlungen als außergewöhnliche Erlebnisse, heroische Taten oder Leistungen anpreisen, die als Mittel zur Steigerung der gesellschaftlichen oder beruflichen Anerkennung dienen,
  • selbstgefährdende Verhaltensweisen als erstrebenswerte Selbsterfahrung, als selbstverständliches Mittel zur Steigerung des persönlichen Wohlbefindens oder zur Erlangung außergewöhnlicher Rauschzustände, als Stimulans, Entspannungsmittel oder lebensbereichernde Erfahrung anpreisen,
  • Menschen abwerten, die risikobehaftete oder selbstschädigende Handlungen nicht (mehr) befürworten oder ausüben,
  • sich durch jugendaffine Gestaltungsweisen (Sprache, Bilder, Symbole) auszeichnen oder Bezüge zur jugendlichen Lebenswelt herstellen.

Welche Rolle spielt eine Community innerhalb des Angebots?

Die Wirkung kann verstärkt werden, wenn eine Community Teil des Angebots ist. So können Gefühle der Gemeinschaft und Zugehörigkeit bei den Gefährdeten geweckt werden, die die Schwelle zur Selbstschädigung senken. Mitglieder einer Community können mithilfe von klassischen Forums- oder Kommentarfunktionen motivierend wirken oder Gefährdete unter Druck setzen. Insbesondere sind folgende Faktoren zu prüfen:

  • Diskussionen über Darstellungen, Beschreibungen oder Erlebnisberichte des Risikoverhaltens oder der Selbstschädigung sind möglich oder erwünscht.
  • Das selbstgefährdende Verhalten der Mitglieder wird durch destruktive oder befürwortende Antworten und Kommentare anderer Mitglieder ausgelöst oder verstärkt.
  • Die Community erzeugt konkrete Anreize und Drucksituationen, indem sie die Möglichkeiten bietet, risikobehaftete oder selbstschädigende Aktivitäten anzukündigen, sich zu solchen zu verabreden (z. B. Suizid) oder dafür Partner:innen zu vermitteln.
  • Die Community hält Wettbewerbe zur Selbstschädigung ab oder droht mit Ausgrenzung aus der Community, sobald der/die Gefährdete bestimmte Vorgaben oder Ziele nicht erreicht.

Welche Rolle spielen Handlungsanleitungen innerhalb des Angebots?

Die Beurteilung eines Angebots ist davon abhängig, ob das Angebot Darstellungen mit Anleitungscharakter enthält. Insbesondere sind folgende Faktoren zu prüfen:

  • Bereitstellung konkreter Handlungsanleitungen, Beschreibungen und Diskussionen zur Effektivität der Methoden, Eröffnung von Möglichkeiten zur Vermittlung oder eines direkten Zugangs zum Bezug von Drogen, Hilfs- oder Arzneimitteln,
  • konkrete Hinweise, wie die Folgen des Risikoverhaltens versteckt werden können, um beispielsweise etwaige Hilfsmaßnahmen zu unterbinden oder um Beziehungen innerhalb der Community zu verstärken („Ich bin der Einzige, der dich versteht, sag niemandem etwas.”).

Welche Faktoren können die Wirkung eines Angebotes verstärken?

  • Zu den wirkungsverstärkenden Faktoren gehören insbesondere sog. Trigger-Inhalte (Auslöser). Es handelt sich dabei um detaillierte oder drastische Bilder, Videos oder Texte, die den Akt oder die Folgen der Selbstschädigung darstellen. Diese können insbesondere bei psychisch gefährdungsgeneigten Kindern und Jugendlichen zu einem plötzlichen Umschlagen in eine negative Gemütslage führen und risikobehaftete oder selbstverletzende Handlungen nach sich ziehen. Gelegentlich sind sie mit Trigger-Warnungen versehen, die das Interesse eher wecken als abschrecken können.
  • Programmatische Inhalte (wie z. B. „10 Gebote“, „Anas Brief“ oder „Anas Psalm“) oder Beiträge mit eindeutigem Aufforderungscharakter fungieren als Motivationsschreiben und können ebenfalls die Wirkung eines Angebots verstärken.

Welche Faktoren können die Wirkung eines Angebotes relativieren?

Folgende Faktoren können je nach kognitivem Entwicklungsstand des/der Nutzer:in die Wirkung eines Angebotes relativieren:

  • Risikoverhalten und Selbstschädigung befürwortende Inhalte werden hinterfragt, kritische Meinungen zugelassen.
  • Nach den Regeln des Angebots sind Methodendiskussionen, die Bereitstellung konkreter Handlungsanleitungen, verharmlosende oder verherrlichende Inhalte sowie Trigger-Inhalte untersagt.
  • Das Angebot enthält aufbauende Worte, die risikobehaftetes oder selbstschädigendes Verhalten ablehnen oder Hinweise auf die Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Hilfe geben.
  • Das Angebot enthält Informationen und Hilfestellungen für Betroffene, z. B. Hinweise auf Beratungsstellen.