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Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien /

Entwicklungsbeeinträchtigung und Jugendgefährdung

Lachende Kinder blicken zusammen in einen Laptop

Definition

Maßstab ist die Eignung von Angeboten, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen oder zu gefährden. Es wird davon ausgegangen, dass mit fortschreitendem Alter eine beeinträchtigungslose Verarbeitung von Medieninhalten möglich sein wird und dass Erwachsene eventuell verbleibende Beeinträchtigungen in gewissem Umfang selbst verantworten müssen. Zu beurteilen ist also, bis zu welchem Alter von einem Angebot Beeinträchtigungen oder Gefährdungen ausgehen.

Der Begriff der „Beeinträchtigung“ ist in § 5 Abs. 1 JMStV für den medienrechtlichen Bereich legaldefiniert. Er umfasst sowohl Hemmungen als auch Störungen der Entwicklung sowie Schädigungen von Kindern und Jugendlichen. Auf der individuellen Dimension sind insbesondere Beeinträchtigungen durch Ängstigungen, andere psychische Destabilisierungen sowie die Übernahme von Verhaltensmustern, die zu körperlichen oder seelischen Verletzungen führen können, zu beachten. Auf der sozialen Dimension ist es erforderlich, sich in die Gesellschaft mit ihrer Werteordnung insgesamt einfügen zu können. Deshalb ist zu beachten, ob bei den medialen Angeboten die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Grundrechte einschließlich ihrer Schranken für Kinder oder Jugendliche als zentraler Maßstab der gesellschaftlichen Werteordnungerkennbar bleiben. Wenn Kinder oder Jugendliche aufgrund ihres Alters abweichende Darstellungen, z. B. im Bereich von Menschenwürde, Toleranzgebot, Schutz von Ehe und Familie und Demokratieprinzip, nicht mit ausreichender Differenziertheit und Distanz verarbeiten können, ist von einer Entwicklungsbeeinträchtigung auszugehen. Im Hinblick auf die Rechte von Kindern und Jugendlichen sind Erziehungsziele auch stets die Erziehung im Geist der Freiheit, der Gleichheit, der Toleranz, der Würde, der Solidarität und des Friedens. Eine Einwirkung von Medieninhalten auf diese Erziehungsziele ist somit bedeutsam.

Der Begriff der „Jugendgefährdung“ findet sich bei den Unzulässigkeitstatbeständen nur im Rahmen einer bereits erfolgten Feststellung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JMStV), einerschweren Jugendgefährdung (z. B. einfache Pornografie § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JMStV) und eines Verbreitungsverbotes von offensichtlich schwer jugendgefährdenden Angeboten (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 JMStV). Einzelne Beispiele für das Vorliegen einer Jugendgefährdung lassen sich dem Jugendschutzgesetz (JuSchG) entnehmen. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 JuSchG zählen hierzu insbesondere unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit und Verbrechen oder Rassenhass anreizende Angebote sowie Angebote, in denen Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert dargestellt werden oder Selbstjustiz als bewährtes Mittel zur Durchsetzung einer vermeintlichen Gerechtigkeit nahe gelegt wird.

Aus der Gesetzessystematik ist ersichtlich, dass an das Vorliegen einer Jugendgefährdung im Vergleich zur Beeinträchtigung strengere Maßstäbe geknüpft sind. Sie setzt einen stärkeren Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im Vergleich zur Entwicklungsbeeinträchtigung voraus. Es muss die naheliegende Gefahr einer ernsthaften Entwicklungsschädigung minderjähriger Personen bestehen. Bei der Feststellung einer Jugendgefährdung oder Entwicklungsbeeinträchtigung ist grundsätzlich auch auf die besonders anfälligen („gefährdungsgeneigten“) minderjährigen Personen abzustellen. Eine offensichtlich schwere Jugendgefährdung liegt vor, wenn sie für jeden/jede unbefangene/n Beobachter:in eindeutig erkennbar ist.

Wirkungsfaktoren

Grundsätzlich ist bei der jugendschutzrechtlichen Bewertung von Medienangeboten eine Einzelfallbetrachtung notwendig. Kontext, Intention, Intensität und Ausprägung sowie das Zusammenwirken verschiedener Elemente des Angebots sind stets zu beachten.

Bevor auf die drei zentralen – für die Medienaufsicht relevanten – Wirkungsbereiche Gewalt, Sexualität sowie Eigenverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit eingegangen wird, sollen im Folgenden die Faktoren beschrieben werden, die für alle drei Wirkungsbereiche relevant sind: rezeptionsspezifische und angebotsspezifische Wirkungsfaktoren.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass problematische mediale Angebote nie als alleinige Ursache für bestimmte Wirkungen anzusehen sind, sie können jedoch eine Verstärkerfunktion ausüben.

Rezeptionsspezifische Wirkungsfaktoren

Angebotsspezifische Wirkungsfaktoren

Sexualität

Unter Sexualitäts- und Erotikdarstellungen sind Darstellungen sexueller Handlungen oder sexuell assoziierbarer Posen zu verstehen, die noch unterhalb der Schwelle zur Pornografie liegen. Die genannten Bewertungsaspekte beziehen sich in erster Linie auf Angebote, z. B. Spielfilme, Magazine, Talkshows, Websites, Online-Werbung, Downloadoder Streaming-Möglichkeiten (z. B. Filmsequenzen) oder Foren, in denen das Thema Sexualität visuell oder verbal behandelt wird.

Die im Folgenden aufgeführten Aspekte beschreiben Angebotseigenschaften, die Kindern und Jugendlichen eine Übernahme problematischer sexueller Verhaltensweisen, Einstellungen und Rollenbilder nahe legen, die sie überfordern, verunsichern oder ängstigen, die also dazu beitragen können, ihre psychosoziale und psychosexuelle Entwicklung zu beeinträchtigen oder zu gefährden.

Kontext der Sexualdarstellung

Intention

Inhaltliche Charakteristika

Formale Gestaltung

Eigenverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit

Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf eine unbeeinträchtigte Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

Eigenverantwortung setzt geistige Selbstständigkeit und personale Autonomie voraus. Sie beinhaltet die Fähigkeit zu angemessener Selbstfürsorge, zur Wahrnehmung von Rechten und Übernahme von Pflichten (Handlungskompetenz) sowie zur Selbstreflexion und kritischen Bewertung der jeweiligen Lebenswelt (Beurteilungskompetenz).

Gemeinschaftsfähigkeit bezeichnet eine „komplexe und vielschichtige Kompetenz, die kognitive, emotionale und motivationale sowie normative Aspekte umfasst“ und das Individuum befähigt „mit anderen zu kommunizieren und zu kooperieren“. 

Die Entwicklung dieser Fähigkeiten kann durch Medienangebote auf unterschiedliche Weise beeinträchtigt werden, insbesondere in folgenden Bereichen: Strukturelle Gewalt, Diskriminierung, weltanschauliche, religiöse und politische Extremismen, ethische Aspekte, Risikoverhalten und Selbstschädigung sowie Förderung exzessiver Nutzung.

Strukturelle Gewalt

Diskriminierung

Weltanschauliche, religiöse und politische Extremismen

Ethische Aspekte

Risikoverhalten und Selbstschädigung

Förderung exzessiver Nutzung

Werbung und Teleshopping

Der Werbung liegt ein weitgefasster Begriff zugrunde. Dieser umfasst Inhalte, die darauf abzielen, den Absatz bzw. Umsatz, das Image oder die Bekanntheit bestimmter Waren, Dienstleistungen oder Angebote zu fördern. Es muss jedoch nicht zwingend eine Gewinnerzielungsabsicht vorliegen (z. B. politische Werbung).

Auch werbliche Inhalte, für die der Anbieter keine Gegenleistung erhält, oder Hinweise auf das eigene Angebot werden von dem Begriff erfasst.

Teleshopping umfasst direkte Angebote an die Öffentlichkeit für den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen und zeichnet sich dadurch aus, dass über die bloße Produktanpreisung hinaus ein unmittelbarer Kauf über die im Angebot zur Verfügung gestellten Kommunikationskanäle (z. B. per Telefon, SMS, online) ermöglicht wird.

Für werbliche Inhalte gelten die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages. Die Kriterien zur Beurteilung von Entwicklungsbeeinträchtigung und -gefährdung und der medienrechtlichen Unzulässigkeit finden entsprechend Anwendung. Darüber hinaus enthält der JMStV in § 6 Abs. 1 bis 6 zusätzliche Bestimmungen, die nur auf werbliche Medieninhalte und Teleshopping Anwendung finden. Die folgenden Kriterien rekurrieren auf einzelne Aspekte dieser Bestimmungen.

Direkte Kaufaufrufe

Ansprache

Ausnutzen der Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit

Interessenschädigende Werbung

Ausnutzen des Verhältnisses zu Vertrauenspersonen

Veranlassung Eltern oder Dritte zum Kauf anzuregen

Darstellung Minderjähriger in gefährlichen Situationen

Werbung für indizierte Angebote

Werbung für Alkohol

Werbung für Tabak

Werbung für Glücksspiel