Weiter zum Inhalt
Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien /

Werbung und Teleshopping – Ausnutzen der Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit

Werbung und Teleshopping

Ausnutzen der Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit

Unerfahrenheit liegt vor, wenn eine Person einen beliebigen Sachverhalt mangels ausreichender Erfahrungen und Kenntnisse (z. B. der rechtlichen Anforderungen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Verträgen) nicht adäquat bewerten und einordnen kann, so dass eine angemessene Reaktion erschwert oder gar nicht möglich ist.

Leichtgläubigkeit liegt vor, wenn eine Person nicht in der Lage ist, Behauptungen und Aussagen anderer Personen kritisch abzuwägen, zu beurteilen und sich gegebenenfalls von ihnen zu distanzieren. Leichtgläubigkeit wird durch Unerfahrenheit begünstigt. In diesem Zusammenhang werden fremde Meinungen und Einstellungen leicht übernommen.

Bei Kindern ist daher grundsätzlich, bei Jugendlichen in eingeschränktem Maß von Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit in allen Lebenslagen auszugehen.

Ein Ausnutzen der Unerfahrenheit und der Leichtgläubigkeitliegt dann vor, wenn Werbetreibende diese Umstände nutzen, um Waren oder Dienstleistungen an Kinder und Jugendliche zu verkaufen oder andere
Vorteile für sich zu erlangen (z. B. um an Daten für weitergehende Werbemaßnahmen zu gelangen).

Im Gegensatz zu Erwachsenen können Kinder und Jugendliche oftmals noch keine ausreichende Distanz zur Werbung und zum Teleshopping herstellen und neigen mitunter zu spontanen Kaufentscheidungen, deren wirtschaftliche Folgen sie nicht vollständig einschätzen können. Zwar verfügen ältere Kinder und Jugendliche in der Regel über Erfahrung im Umgang mit Werbespots und haben ein allgemeines Verständnis von der Funktion der Werbung, in vielen Bereichen (Abschluss von Abonnements, Einschätzen und Vergleich von Angeboten) sind sie hingegen unerfahren und leichtgläubig. Zudem sind sie aufgrund ihres geringeren Kenntnis- und Erfahrungsstands eher als Erwachsene in der Gefahr, den werblichen Charakter eines Angebots zu übersehen oder sich durch übermäßige Anreize und irreführende Darstellungen zu unüberlegten Kaufhandlungen verleiten zu lassen.

Zur Bewertung, ob durch Werbung die Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit von Kindern und Jugendlichen ausgenutzt wird, können folgende Kriterien herangezogen werden:

Liegt eine unmittelbare Kaufmöglichkeit vor?

Wenn Produkte und Dienstleistungen unmittelbar bezogen werden können (z. B. per SMS, Beratungshotlines, online) besteht die Gefahr, dass Kaufentscheidungen spontan und unüberlegt getätigt werden. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kaufentscheidung voreilig und zum Nachteil der Minderjährigen getroffen wird.

Gegen eine unmittelbare Kaufmöglichkeit für Kinder und Jugendliche spricht es, wenn für den Erwerb einer Dienstleistung bzw. einer Ware nur Zahlungsmöglichkeiten angeboten werden, die ausschließlich Erwachsenen zur Verfügung stehen.

Werden die Kosten und Kaufbedingungen verständlich und erfassbar kommuniziert?

Kosten und Kaufbedingungen werden unverständlich und schlecht erfassbar kommuniziert und so die negativen Folgen des Kaufs verschleiert, wenn:

  • die Werbung keine bzw. unzureichend verständliche Informationen über die entstehenden Kosten enthält, z. B. die Preisangaben unvollständig sind und die Kaufinformationen (insbesondere zu Vertragsbedingungen und Kündigungsmodalitäten) unübersichtlich oder schlecht lesbar sind,
  • Teile der Angaben (z. B. Wörter wie „gratis“) akustisch oder optisch hervorgehoben werden und somit wahrscheinlich ist, dass die Gesamtbedingungen des Angebots von Unerfahrenen falsch wahrgenommen werden,
  • eine große Textmenge (in kurzer Zeit) dargeboten wird, so dass sie aufgrund fehlender Lesekompetenz und Konzentrationsfähigkeit sowie Unkenntnis über die verwendeten Begriffe von Kindern und Jugendlichen in aller Regel nicht angemessen erfasst und verarbeitet werden können,
  • dabei Kürzel der Geschäfts- und Wirtschaftssprache verwendet werden, die dieser Altersgruppe unbekannt sind,
  • kostenpflichtige Abonnements angeboten werden und hierbei der Abonnementcharakter sowie etwaige Vertragsbedingungen nicht ausreichend transparent gemacht werden,
  • in Online-Spielen unterschiedliche In-Game-Währungen eingesetzt werden, wodurch Spieler:innen einen Transfer leisten und die reale Geldwährung in virtuelle Währung(en) umrechnen müssen (z. B. durch unterschiedliche Sonderangebote oder Währungspakete, die sich immer wieder verändern oder aktualisieren).

Wird die Erkennbarkeit des werblichen Charakters eines Angebots mit bestimmten Gestaltungsmitteln herabgesetzt?

Die Erkennbarkeit des werblichen Charakters wird herabgesetzt, wenn

  • der Schriftzug „Werbung“ fehlt,
  • die Werbung zwar durch einen Schriftzug gekennzeichnet ist, sie sich darüber hinaus aber weder durch die grafische Gestaltung noch durch ihre Platzierung vom redaktionellen Inhalt unterscheidet,
  • der Schriftzug “Werbung” zu unleserlich oder kaum wahrnehmbar platziert ist,
  • der Hinweis auf den werblichen Charakter nur durch die Verwendung eines fach- oder fremdsprachlichen Ausdrucks erfolgt, dessen Verständnis bei Kindern und Jugendlichen noch nicht vorausgesetzt werden kann,
  • Werbetexte in sozialen Netzwerken so gestaltet sind, dass sie als persönliche Empfehlungen von Freund:innen erscheinen oder
  • interaktive werbliche Fenster oder Pop-Ups durch Inhalt und Gestaltung den Eindruck erwecken, dass es sich um ein redaktionelles Angebot (z. B. Quiz- oder Spielangebot) handelt.

Wie wird die Werbung in das Angebot integriert?

Relevant können die technische oder audiovisuelle Gestaltung, Länge und Häufigkeit bzw. die Wiederholung der Werbung sein. Bei Angeboten ist darüber hinaus zu beachten, dass ein Risikopotenzial im Sinne des § 6 JMStV – insbesondere unter dem Aspekt der Ausnutzung der Unerfahrenheit – gegeben ist, wenn Kinder in unzumutbarer Weise im Rezeptionsfluss gestört werden und sie sich den gezeigten Werbeinhalten nicht entziehen können. Dabei ist entscheidend, wie oft das Medienangebot unterbrochen wird, wie lange diese Unterbrechungen dauern und ob sich diese nach dem Start unterbrechen lassen. Ist das Unterbrechen durch Werbung so gestaltet, dass ein Schließen unmöglich oder schwierig ist und/oder man durch „falsches“ Klicken automatisch auf externe Seiten geleitet wird, dann kann dies ein Hinweis darauf sein, dass die Werbung Kindern und Jugendlichen aufgedrängt wird. Dazu zählt auch, wenn Angebote Werbung beinhalten, deren Konsum z. B. das Vorankommen im Online-Spiel befördert, weil durch das Ansehen von Werbevideos ein Spielvorteil erworben werden kann oder notwendiger Bestandteil des
Spiels ist.

Wird durch die Werbung ein (evtl. nicht vorhandener) Zeitdruck ausgeübt?

Wenn durch Hinweise in Bild oder Ton der Eindruck erweckt wird, dass es sich um ein nur temporär zugängliches Angebot bzw. eine einmalige Gelegenheit (z. B. Sonderangebote oder Aktionen) handelt, die eine sofortige Kaufentscheidung von den Minderjährigen erfordert (z. B.: „jetzt“, „nur noch kurze Zeit“, „schnell bestellen!“), können Kinder und Jugendliche dazu veranlasst werden, eine unüberlegte Kaufentscheidung zu treffen.

Werden in der Werbung verstärkt Affekte angesprochen?

Kinder und Jugendliche treffen ihre Kaufentscheidungen häufiger als Erwachsene spontan und gefühlsgesteuert. Daher kann ein Ausnutzen der Unerfahrenheit vorliegen, wenn aus Gründen der
Werbewirksamkeit visuelle und auditive Präsentationen im Vordergrund stehen (z. B. kinder- und jugendaffine Gestaltungsmittel) und die relevanten Informationen für den Kauf nur am Rande vermittelt werden.

Verleitet die Werbung zur Preisgabe von eigenen oder fremden persönlichen Daten?

Kinder und Jugendliche haben oft aufgrund ihrer geringen Lebenserfahrung noch keine Vorstellung davon, warum sie mit eigenen und fremden persönlichen Daten vorsichtig umgehen sollten. Sie neigen daher dazu, bei entsprechenden Abfragen persönliche Daten unüberlegt weiterzugeben.

Hinweise auf eine Ausnutzung der Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit können vorliegen, wenn

  • bei Preisausschreiben, Gewinnspielen oder anderen Aktionen zum Zweck der Verkaufsförderung persönliche Daten abgefragt werden, die für die Abwicklung nicht nötig sind, aber für gezielte weitere Werbeansprachen genutzt werden,
  • Anreize (z. B. Boni, Preisnachlässe) für die Weitergabe fremder persönlicher Daten gegeben werden,
  • für eine Verknüpfung eines Medienangebotes mit einem sozialen Netzwerk (z. B. beim Posten eines Spielstandes) und der damit verbundenen (intransparenten) Weitergabe von personenbezogenen Daten Vorteile eingeräumt werden.

Wird in unzulässiger Weise mit Verlosungen, Preisausschreiben, Glücksund Gewinnspielen o. ä. geworben?

Der Einsatz solcher Werbemittel ist unzulässig, wenn sich die Werbung auch an Kinder und Jugendliche richtet und geeignet ist, diese

  • irrezuführen, z. B. durch die Vorspiegelung eines unrealistischen Zusammenhangs zwischen Mehreinkauf und erhöhter Gewinnchance,
  • durch übermäßige Vorteile anzulocken, z. B. durch Gewinne, die im Vergleich zum Warenwert übermäßig wertvoll erscheinen,
  • in ihrer Spielleidenschaft auszunutzen.

Werden glücksspielähnliche Elemente beworben?

Wenn ein glücksspielähnliches Element eines Medienangebots (z. B. Lootboxen) kinder- oder jugendaffin beworben wird oder sich die Werbung für dieses Element auch an Kinder und Jugendliche richtet, kann dies ein Hinweis auf einen Verstoß gegen § 6 JMStV sein. Für einen Verstoß gegen § 5 JMStV ist hingegen keine kinder- oder jugendaffine Ansprache notwendig.